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Sterben vor Lachen

Aufsätze zu Mozart, Rossini, Benjamin und Adorno

Erschienen am 28.02.2005
14,90 €
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446205802
Sprache: Deutsch
Umfang: 112 S.
Format (T/L/B): 1.1 x 20 x 12.1 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Alessandro Bariccos erste Veröffentlichung handelte von der komischen Oper Mozarts und Rossinis. Dieser Text sowie zahlreiche weitere Aufsätze über Musik, Philosophie und die Darstellung von Wirklichkeit sind in diesem Band versammelt. Es geht um die Entstehung von Kunstwerken und darum, dass die Wahrheit nur eine Illusion, die Erinnerung eine Rekonstruktion ist.

Autorenportrait

Alessandro Baricco, 1958 in Turin geboren, studierte Philosophie und Musikwissenschaft. Er ist Mitherausgeber verschiedener Literaturzeitschriften und von La Repubblica. 1994 gründete Baricco zusammen mit Freunden die Scuola Holden, eine Privatuniversität, an der er kreatives Schreiben unterrichtet. Neben seinen Romanen hat Baricco zahlreiche Essays, Erzählungen und Theaterstücke verfasst. Er wurde mit dem Premio Campiello, dem Premio Viareggio und dem Prix Médicis Étranger ausgezeichnet. Sein Werk erscheint in zahlreichen Sprachen. Der Roman Novecento wurde 1999 unter dem Titel Die Legende vom Ozeanpianisten von Giuseppe Tornatore, Seide 2007 von François Girard verfilmt. Bei Hanser erschienen zuletzt Diese Geschichte (Roman, 2008), Land aus Glas (Neuausgabe 2009), Seide (Roman, 2011) und So sprach Achill. Die Ilias nacherzählt von Alessandro Baricco (2011).

Leseprobe

Die Opera buffa entstand als Intermezzo der Opera seria. Die Darbietung der hohen und feierlichen Töne wird unterbrochen, auf der Bühne erscheint etwas, das eben, weil es 'Intermezzo' ist, das Andere zur Opera seria darstellt. Dieser Aufschub ist mehr als ein Zeitfenster, er ist eine wahre epoche. Denn was da aufgeschoben wird, ist nicht nur die Aufführung, sondern, tiefgreifender, die ganze von der Opera seria besungene Welt: das Schicksal, der Mythos, die Helden. Das Intermezzo entsteht aus einem kollektiven Aufschieben, Ausklammern des 'Ernsten', des Symbolischen und Bedeutsamen, des Mythischen. Das plötzliche und drastische Aufklaren fegt all das von der Bühne, was nicht die spezifischen Merkmale des unzweifelhaft Realen trägt; zurück bleiben dort Dienstmägde, gichtige Herrschaften, Geld, Hochzeiten, Wünsche. Es ist nichts als das blanke Leben, das da als Konzentrat aus der epoche hervorgeht, die etwas plump sein mag, aber durchaus ihre Wirkung tut und im übrigen ja im Theater und nicht im Elfenbeinturm konsumiert wird. Man begegnet in der Opera buffa denselben Personen wieder wie in der Seria: aber nun korrodiert und aufs Wesentliche eingedampft. Figaro, die tausend Figaros der Opera buffa lassen sich durch eine unvoreingenommene und kühle Reduktion aus den Heroen des Mythos gewinnen. Die Opera buffa entstand mithin als Intermezzo der Opera seria. Sie war die kollektive Feier einer aufklärerischen epoche. (Daß all dies sich dann zum Komischen wendete und unter Gelächter aufgenommen wurde, widerspricht nicht dem Nervenkitzel bei der Überschreitung, vielleicht auch nicht dem Glück der Entschädigung und mit Sicherheit nicht dem Schaudern vor dem Verbotenen.) Wie in einem aufklärerischen Laboratorium wird in der Opera buffa eine Welt erprobt, die einen Augenblick lang frei ist von jedem Bezug aufs Mythische, Transzendente, Symbolische. Eine Welt, die in sich selbst die eigene raison des Seins und Werdens trägt. Zwei Elemente, die bis dahin die tragenden Pfeiler des Musiktheaters gewesen waren, verflüchtigen sich bei dieser drastischen Reduktion: das Schicksal verschwindet, und mit ihm hat sich auch die Figur des Helden in nichts aufgelöst. Da jedwedes 'Jenseits', das die Bewegungen auf der Bühne bisher lenkte, ausgelöscht ist, ist auch der über-menschliche Horizont verschwunden, vor dem allein jenes Verhalten, das aus einem Individuum einen Helden, einen Übermenschen machte, sinnvoll erschien: es wird zur unsinnigen Hypertrophie, und unsinnig erscheint nun der Held. Da auch das Schicksal nicht mehr mitspielt, wird der Handlung zugleich jener Motor, jenes dynamische Prinzip entzogen, das bisher den gobelinartigen Figuren eine theatralische Vitalität verlieh. Die aufklärerische Reduktion, die das komische Intermezzo vornimmt, scheint damit auf beunruhigende Weise das Theater selbst samt all seiner Mechanismen zu zersetzen. Theoretisch will die Reduktion etwas Unmögliches bewerkstelligen: die Opera buffa scheint etwas auf die Bühne stellen zu wollen, über das sie gar nicht mehr verfügt; sie hat, theoretisch, gar kein dynamisches Prinzip mehr, keinen Protagonisten und nicht einmal ein Handlungssujet. Eine leere, tote Bühne. Wenn die Opera buffa trotzdem gespielt wird, so deshalb, weil sie um eine Hypothese kreist, die sie dem Schweigen entreißt und in die Zukunft blicken läßt: die Hypothese, daß auch dann, wenn die Bindungen an die 'jenseitige' Welt, an eine übersinnliche, metaphysische Ordnung gekappt sind, die Wirklichkeit nicht einfach erlischt oder in gänzliche Bedeutungslosigkeit und Starre versinkt; daß sie vielmehr, da sie über eine eigene Dynamik und eigene Belange verfügt und diese auch eigenständig zu verwalten vermag, von sich aus ein effektives und nachvollziehbares Geschehen hervorbringt. Es ist die Hypothese eines ganz und gar immanenten und autonomen Geschehens. Die Opera buffa erprobt die Hypothese: sie stellt nicht etwas dar, das sie schon besäße - das ihr schon in Form eines Konzep ... Leseprobe